13:11, 11. Dezember 2001

«Manchmal stelle ich mir vor, wir spielen das Spiel der Märchen von 1001 Nacht, ich erzähle dir so lange Geschichten, bis ich dich überzeugt habe (nicht, dass du mich am Leben lässt, sondern dass ich überhaupt Leben für dich annehme). Die Spielregeln sind etwas anders, denn deine Geschichten zählen auch mit, wen nicht gar doppelt! Werde nächstens einmal nachzählen, bei welcher Nacht wir schon angelangt sind, denn mit einem konkreten Ziel vor Augen fällt es mir vielleicht leichter, meine wachsende Sehnsucht zu zähmen. Und, versprichst du mir die 1001. (oder liebend gern auch schon eine frühere!) Nacht zum REALEN Leben zu erwecken? Das wäre doch wirklich ein wunderschönes Märchen!»

10:06, 12. Dezember 2001

«Hm, mein süßes Dornröschen… und wenn ich nun wirklich eine 50-jährige Schriftstellerin wäre? Da müssten wir dann aber noch hart arbeiten an deiner Frauenphobie… gg Dein kleines prickelndes Erlebnis mit der Verkäuferin schien mir ein guter Anfang gewesen zu sein. Warst du inzwischen noch einmal dort? Wenn nicht, solltest du es unbedingt versuchen, meine ich. Es reizt dich doch ohnehin mehr, als du dir eingestehen willst. Und: wenn schon aufwachen aus dem hundertjährigen Schlaf, dann gleich richtig. Oder?»

22:19, 12. Dezember 2001

«Ein Blick in meine Seele… Wie könnte ich dir gewähren, was ich selber nur selten wage. Ich bin ein Lügner, ein Getriebener, ein Maskenträger, ein Spieler, höflich, charmant und so schwierig, dass du dich glücklich schätzen kannst, mit mir niemals einen Alltag teilen zu müssen. Also lass uns spielen. Genau das hast du selber einmal vorgeschlagen. Ich kann dich auf Händen tragen, dich lieben, begehren, besiegen auch (oh ja!). Werde niemals missbrauchen, was du mir anvertraut hast und noch anvertrauen wirst, werde dich selbst in deinen schwächsten Augenblicken noch respektieren, ja anbeten, und werde in typisch männlicher Manier augenblicklich die Flucht ergreifen, wenn du mir zu nahe trittst, indem du versuchst, dir meine Seele einzuverleiben.»

08:57, 13. Dezember 2001

«Du willst also nicht ‹1001 Nacht› spielen, ist dir zu abgedroschen? Willst lieber ‹La belle et la bete› spielen? Dich mir als Ungeheuer präsentieren? Mich einschüchtern etwa? Oh nein, was ist ein Ungeheuer anderes als ein tief verletztes Wesen, das aus Angst vor weiteren Verletzungen seiner so dünnen Haut gleich vorher seine Krallen zeigt, brüllt, um sich schlägt, bloß damit niemand zu nahe an ihn herankommt? Nein, mein Tiger, mich schlägst du damit nicht in die Flucht, wusstest du nicht, dass ich ein Löwe (und keine LöwIN!?) bin, ich habe keine Angst, ich stelle mich auch Ungeheuern! Mein Fell ist dick, mein Machtgefühl auch! Wir müssen und werden auch nicht kämpfen, wir werden uns und unsere Stärke akzeptieren und es genießen, endlich einen gleichstarken Partner gefunden zu haben!»

08:28, 20. Dezember 2001

«Die nächsten 2 Wochen werde ich ohne Internetzugang in der ländlichen Zurückgezogenheit eines Bauernhofes in den Bergen verbringen. Ich werde mich auf meine Rolle konzentrieren, die einer wunderbaren Mutter, liebevollen Gefährtin, aufmerksamen (und verstohlen begehrten) Gastgeberin für die verschiedenen lonesome heroes, die so gerne in die warme Geborgenheit unseres harmonischen Familienlebens eintauchen, und wie es in mir aussieht, wird kaum jemanden interessieren. Und meine Angst, wie weit ich den Weg eines Dorian Gray schon beschritten habe, wirst du liebvoll abwehren mit ‹nicht doch, so schlimm ist das doch nicht› - aber, mein wunderbarer Geliebter, du kennst nur einen kleinen Ausschnitt meines Lebens and I tell you, there are really deep wells inside me (and not only in my dreams!), und ich fürchte, ich bin den Weg schon weit gegangen.»

18:31, 03. Januar 2002

«F., F., F.!!! Es ist wie so oft alles andere wie geplant gekommen, und ich bin seit ein paar Stunden zurück in Wien, immer noch fiebrig und verhustet, aber dafür dir etwas näher (aber wer weiß, vielleicht war ich dir dort lokal näher?). Wie ich unsere Geschichten vermisst habe, unsere immer unzureichender werdenden verbalen Liebkosungen – in Gedanken habe ich viele Sätze formuliert, sicher zehnmal so viel wie ich dir schicken werde. Es ist eine lange Geschichte geworden, die, während meinem Kranksein auf einem Notizblock unter der Bettdecke versteckt geschrieben, nun auf ihre Übersetzung in unser Medium wartet.»

17:18, 07. Januar 2002

«Auch krank, hast du mich angesteckt? Und kannst du mir dieses lange Schweigen verzeihen, das vielleicht noch etwas dauern könnte? Dein letzter Text begleitet mich auf eine Weise, die mich ein wenig fassungslos macht.»

10:31, 11. Februar 2002

«Die Grenzen, mehrmals haben wir sie rhetorisch ins Spiel gebracht, Grenzen der Hemmungen, der Virtualität, der Lust – nie sie erreicht. Aber jetzt bin ich an der Grenze angelangt und ich werde umkehren.»

21:29, 11. Februar 2002

«Ist nicht nötig, deinen Account zu löschen. Ich werde dir nicht schreiben. Aber selbst dafür, dass du die Energie aufbringst, jetzt diese Tür zuzumachen, muss ich dir dankbar sein. Vor allem dafür, wie du es tust. Um Einiges ehrlicher und anständiger nämlich, als ich je imstande gewesen wäre. Nein, du bist kein Opfer, warst es nie. Du warst von Anfang an die Stärkere von uns beiden.»

22:23, 11. Juli 2002

«Unserem nun länger dauernden Schweigen als dem sich Nähern zum Trotz, nimmst du einen großen Raum in meinen Gedanken ein. Wider aller Erfahrung vom Verblassen von Erinnerungen baue ich immer noch weiter an deinem Bild, wohl weil ich einfach nie ein konkretes von dir hatte. Kein physisches und auch kein verbal plastisches, da du dich immer wieder hinter Andeutungen, ja fast Drohungen (die ihre vermutlich abschreckend gemeinte Wirkung doch nie erreicht haben) versteckt hast. Du hast mich dich nie begreifen lassen, du bist ein Rätsel verblieben, hast mich in eine Suche gestoßen, die zu beenden NUR DU mir helfen kannst. Und genau darum bitte ich dich jetzt.»

23:41, 12. Juli 2002

«Es ist dir völlig egal, welche physische Person ich bin – eine Frau, ein Mann, alt, jung, erfolgreich, gescheitert, kompliziert oder eins mit sich? Gut, auch das glaube ich dir, glaube dir zumindest, dass du das selber glaubst. Und finde es großartig. Finde dich großartig. Aber was, wenn es zum Beispiel MIR nicht egal wäre? Nein, ich bin keine Frau, von all den anderen Dingen bin ich wohl alles ein bisschen. Was ich mit Sicherheit nicht bin und nicht sein will: eines deiner Projekte, die auf diese Weise zum Abschluss zu bringen sind.»

Gelesen von:

Petra Strasser und Georg Schubert

Gesamtdauer:

42'20''