Bad Ischl, 08. July 1938

«Lieber Willi, Du fragst ob ich an Dich gedacht und dich bischen lieb habe – glaubst Du wirklich, ich hätte mir die wahnsinnige Angst angetan, wär einfach davongelaufen, wenn ich Dich nicht sehr lieb gewonnen hätte in der kurzen Zeit? Kannst Dich an den Abschiedsabend noch erinnern? An die gezählten schönen Minuten? Man hat mich überall gesucht, ich war spurlos verschwunden, unauffindbar. Meinen Empfang dann kannst Du Dir gar nicht vorstellen! Was ich damals für Todesangst ausgestanden habe! Hätte Dich so gerne nächsten Morgen vor Deiner Abreise gesprochen und Dir mein Herz ausgeschüttet, wußte ja doch nicht mal, wo Du wohntest. Und dann die bangen Tage, bis ein Lebenszeichen von Dir kam. Endlich – endlich der ersehnte Brief.»

Bad Ischl, 08. August 1938

«Ist alles was Du schreibst wirklich vollster Ernst? Es ist eine vernünftige Anschauung, daß der Charakter des Menschen maßgebend ist. Hoffentlich wirst Du nicht anderer Meinung! Vielleicht durch starken Einfluß von Verwandten und Bekannten. Wenns wirklich so bleibt, wärs wohl schön. Hab mir gerade heute von einer Dame aus Dresden erzählen lassen wie schön es bei Euch draußen ist. Ich freu mich schon ungeheuer auf Deine Heimat.
Wegen der elterlichen Aussprache habe bitte bischen Geduld.»

Bad Ischl, 19. August 1938

«Übrigens, einen Pantoffelheld möcht ich gar nicht als Mann haben. Ich muß zu Dir aufsehen, Dich um Rat fragen und ganz Dir angehören. Ich meine, wenn man einen lieben guten Menschen hat, für den man alles tut – um Ihn besorgt ist, Ihn hegt und pflegt, falls er sich erkältet – so kann man im unschönsten Erdenwinkerl sein und man ist glücklich und zufrieden.
Dich interessierts ob ich Zigretten rauche! Diese Unsitte hab ich mir bis jetzt ferngehalten. Geburtstag hab ich am 13.11. Dann hab ich das 19te Lebensjahr vollendet. Bin neugierig was das 20te bringt! Lieber Willi, dass du an dem Abend über das hohe Rafaelenheimgitter klettern musstest! Ist ein Kunststück, ohne sich zu verletzen. Bist scheinbar noch gelenkig wie ein 20-Jähriger. Übrigens sieht man Dir Deine Jahre nicht an. Du bist halt für meine Eltern und Bekannten 30 Jahre alt. Für älter wird Dich auch niemand ansehen.»

Bad Ischl, 25. September 1938

«Kann es einfach nicht fassen, daß dies in Erfüllung gehen soll. Ist es wirklich Dein vollster Ernst?? Ach es wär so schön, wenn es mal Wirklichkeit wäre! Mich wunderts, Du bist in einer Großstadt, siehst und lernst so viel schöne und reiche Mädels kennen und gerade mich hast Du auserwählt. Eines lieber Willi macht mir Gedanken. Was sagt Dein Familienrat dazu? Ich würde Ihnen sicher zu minder erscheinen. Würdest auch Du zu spüren bekommen und mir möchte es auch sehr weh tun! Du würdest Dich unglücklich schätzen und Dir denken: ‹hätt ich doch ein reiches Mädl geheiratet.›»

Hallstadt, 30. October 1938

«Vielen Dank für Deinen lieben letzten Brief. Darin äußerst Du Deinen Eindruck über mein Kommen. Hast wirklich ganz falsche Anschauungen. Lieber guter Willi, Du scheinst nicht zu ahnen, wie sehr ich mich auf Dich freue, den Tag meiner Abfahrt gar nicht erwarten kann. Ich will Dir nun reumütig den wirklichen Grund meines Verzögerns eingestehen. Erwarte nämlich das Unwohlsein, welches beiläufig am 5. November eintritt. Doch dann lieber Willi, dann kann mich nichts mehr zurückhalten. Weißt, es wäre unangenehm, wenn es mich während der Fahrt oder gleich nach Ankunft im neuen geliebten Heim erwischen würde. Im letzten Brief wollte ich mit der Wahrheit nicht herausrücken, hab den Eltern die Schuld in die Schuhe geschoben, gelt Willi, das hast Du sofort gemerkt und Dir’s falsch ausgelegt. Bitte sei mir deshalb nicht böse.»

Read by:

Elisabeth Schack

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