[Anzeige], 03. September 2001

«Kennst du nicht auch dieses Gefühl, dass du hier auf diesen Seiten herumsuchst, angewidert und doch irgendwie angezogen von der Direktheit, mit der die unterschiedlichsten erotischen Phantasien geäußert werden? Möglicherweise willst du – glücklich gebunden und doch nicht die echte sexuelle Erfüllung deiner Phantasien findend – gar keine wirkliche Affäre, sondern nur das stimulierende Gefühl der Vorstellung davon. Und du möchtest diese Gedanken auch einmal in Worten ausdrücken, wozu du deiner Lebenspartnerin gegenüber nicht fähig bist?»

18:53, 06. September 2001

«Solltest du die Ausnahme sein, würde ich dich sehr gern und glücklich in meine virtuellen Arme schließen – langsam, zärtlich, hart, schnell, wie auch immer, grenzenlos…»

12:23, 07. September 2001

«Über meine Person – außer dass ich eine gutsituierte und durchaus attraktive Frau um die 40 bin – möchte ich eigentlich nicht mehr sagen. Was ich möchte, ist dich virtuell kennen lernen, indem wir uns Begegnungen schildern, wie wir sie auch erleben könnten, und alle Gefühle und Erregungen, die wir dabei empfinden.»

22:32, 08. September 2001

«Es ist ganz in Ordnung dass du nicht mehr über dich verraten willst. Ich bin Mitte 40, sehe auch nicht so übel aus, und so scheinen wir ja gar nicht so schlecht zusammenzupassen – obwohl das bei einer rein virtuellen Affäre ja eher zweitrangig ist, nicht wahr? Erzähle doch von deinen konkreten Vorstellungen. Ich verspreche dir schon jetzt, mein Bestes zu tun, sie im Lauf unseres Dialogs noch ein wenig zu erweitern. Bis dahin – meine Hand in deinem Nacken, die andere... überall, meine Lippen auf deinem Hals, deinem Kinn, deinen Wangen, meine Zunge wo immer du sie haben willst...»

12:56, 04. Oktober 2001

«So etwas habe ich noch nie in der Form gemacht, aber du törnst an – UNWIDERSTEHLICH! Am liebsten würde ich dich ja sofort um ein Date bitten, aber let’s stay cool! Da erzähle ich dir lieber bald noch etwas Anderes.»

13:14, 12. Oktober 2001

«Von mir und vor allem meinen Empfindungen und Charaktereigenschaften habe ich dir schon Einiges erzählt. Von dir weiß ich wenig. Dabei meine ich nicht deinen Namen, Beruf, Lebensumstände und schon gar nicht deine numerische Körperbeschreibung. Aber welche Gefühle du bei unserem Zusammensein unter der Oberfläche wirklich hast (haben könntest)?»

13:18, 12. Oktober 2001

«Aber bitte lass dich jetzt durch diese Offenbarungen nicht soweit provozieren, dass du gleich aufs Ganze gehst, das würde mich eventuell aus der Runde werfen…»

14:26, 12. Oktober 2001

«Mach dir keine Sorgen. Du bist eine wunderbare Geliebte und ich werde sehr gut auf dich aufpassen.»

13:52, 15. Oktober 2001

«Was machst du eigentlich mit mir? Du findest Worte und zeichnest Bilder, die mir so unter die Haut gehen, dass ich wie ein paar Zentimeter über dem Boden schwebe und zum ersten Mal wirklich froh bin, kein Mann zu sein. Dafür, dass dies alles nur ein Spiel ist, schaffst du es hervorragend, meine Leidenschaft wirklich zu erwecken… Hoffentlich verbrenne ich mir nicht die Finger dabei!»

14:37, 15. Oktober 2001

«Keine Angst. Du bist eine starke Frau und in Sicherheit. Genieß es einfach. Im Übrigen ist nicht nur deine Leidenschaft geweckt. Wie du dir vielleicht denken kannst. Ich brenne zur Zeit auch lichterloh.»

12:32, 19. Oktober 2001

«Ich bewege mich beruflich ausschließlich in der Männerwelt und habe oft täglich mit sehr vielen Männern zu tun und es beginnt mir zu passieren, wie heute Vormittag, dass mein Gesprächspartner z.B. Mitte 40 ist, braune Augen und ganz kurzes braunes Haar hat und mich dann noch, obwohl ich ihn schon lange kenne, sehr durchdringend ansieht. Das raubt mir jegliche Konzentrationsfähigkeit! Meine Frage: In welchem Berufsumfeld bis du tätig? Bist du überhaupt in Wien?»

13:07, 22. Oktober 2001

«Sicher wäre es falsch, sich zu treffen, denn was sind wir anderes als gegenseitige Projektionsflächen unserer Wünsche und Träume. Und es wäre unmöglich, diesen Traumvorstellungen standzuhalten, vielleicht sogar desillusionierend. Auch lassen sich Phantasien möglicherweise nur in dieser distanzierten Form wirklich ausleben, wären sonst die Hemmungen zu stark. Was weiß ich wirklich von dir? Ich weiß nicht einmal, ob du in Bremen, Bregenz oder Budapest bist, noch ob du ein 30-jähriger Single, eine 50-jährige Schriftstellerin oder 70-jähriger glücklicher Großvater bist? Es ist ja auch im Grunde genommen nebensächlich, solange wir uns etwas zu sagen haben und uns wohl miteinander fühlen. Und doch nagt dieses Gefühl in mir, aller Stärke, Selbstbewusstsein und Erfahrungen zum Trotz! Oh ja, ich habe mir die Finger sehr wohl schon verbrannt!»

22:15, 20. November 2001

« ‹Gegen wen, mit wem, für wen schreibe ich hier eigentlich?› – Meine Antwort, so für mich: nicht gegeneinander. Das nicht. Mit wem? Für wen? Müssen wir das wirklich wissen? Mit dir. Für dich. Für mich. Es ist schön. Es ist warm. Es ist aufregend. Und es ist näher, näher gekommen jedenfalls, als ich je erwartet oder gar geplant hatte. Ein Spaß, der zum Ereignis wurde. Der wirkt, bewirkt, verwandelt sogar. Eine Offenheit, die mich jenseits von Sex direkt ins Innere trifft. Und schau, ich staune: selbst das ist etwas, das ich geschehen lasse (und gern), anstatt die Flucht zu ergreifen, wie es Männer, Feiglinge, die wir ja auch sind, so gerne tun, wenn etwas zu nahe kommt.»

22:23, 27. November 2001

«Du kennst die Fortsetzung deiner Geschichte, nicht wahr? Wie könnte ich widerstehen? Diesen glühenden Körper, diese heiße Möse in Besitz nehmen, nass und offen von dem, was du selber damit getan hast, dich auf den Bauch drehen, dein Becken mit deinen Händen fassen, in diese tiefe Höhle gleiten, ganz leicht und vertraut, von ihr, dir! Empfangen werden, als käme ich heim… Ich kann mir nur noch schwer vorstellen, wie es war, als es dich noch nicht gegeben hat in meinem Leben. Denn es gibt dich sehr wirklich, in meinen Tagen und Nächten, in meinem Leben, mehr und mehr. Ich höre, spüre, rieche dich. Sehe dich. Bin bei dir. Dankbar, dass es dich gibt.»

15:36, 01. Dezember 2001

«Da ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich es heute schaffen werde, während dem Betriebsfest unbeobachtet in das Internet zu kommen, gehe ich das Risiko lieber nicht ein und schicke dir die Fortsetzung der Geschichte schon jetzt. Heute Morgen (im Bett!) habe ich all unsere Korrespondenz noch einmal durchgelesen, habe über eine Stunde dafür gebraucht, langsam füllen wir ja schon fast einen Ordner, und ich habe so das Gefühl bekommen, langsam entgleitet uns beiden die spielerische Seite dieses Projektes, wir (ich sicher) müssen beginnen aufzupassen, dass wir uns nicht regelrecht wie in der Pubertät verknallen, mit all den nachfolgenden Sehnsüchten und (!) Schmerzen… Nur nicht ernst nehmen, sag ich dir! Und mir sag ich das mehrmals täglich – reichlich erfolglos!»

21:42, 01. Dezember 2001

«Ja, ich habe deine Reaktion so erwartet, aber dass sie so überwältigend ist? Ich fürchte, ich finde keine Worte jetzt, bin auch schon ein wenig zu illuminiert, ja schon, obwohl es noch bald am Abend ist, aber ich habe deine Mail erwartet, in einer Mischung aus, nein, nicht Angst, aber doch irgendwie Furcht, und hoffnungsloser Erregung.»

22:03, 01. Dezember 2001

«Denke an mich, ich will dich, sonst niemanden, halte mich mit deinen Gedanken fest, dass ich nicht schwach werde!»

23:47, 01. Dezember 2001

«F., ich weiß, dass ich jetzt einen Fehler mache, ich mache ihn aber trotzdem»

16:00, 02. Dezember 2001

«Ein Fehler? Nein, kein Fehler. Dein Bild ist bei mir gut aufgehoben (war es das nicht schon immer?). Ein Geschenk erhalten, so unerwartet wie kostbar. Lächeln also… okay, ein wenig triumphierend schon auch, sekundenlang (ooch, nur ein kleines bisschen…). Und zärtlich, sehr sehr sehr zärtlich. Das vor allem.»

Gelesen von:

Petra Strasser und Georg Schubert

Gesamtdauer:

39'37''

Kommentar von E. (2006):

«Am Beginn stand der Wunsch nach einer erotischen Verbalisierung all dieser unerfüllten Träume, die wohl viele von uns so hegen – vor allem wenn man in geregelten und gut situierten Verhältnissen lebt...

Daraus wurde im Laufe der Wochen eine tiefere emotionale Beziehung, die in einer bisher unbekannten Leidenschaft mündete, um nach einem schmerzlichen Abschied wieder im Nichts zu enden.

Faszinierend dabei war für mich die gegenseitige und autosuggestive Verzauberung durch Worte und nichts als Worte (denn es kam nie zu einem Treffen), die mein Leben nachhaltig geändert hat, wohl wissend um den Spruch aus dem Talmud: ‹Achte stets auf deine Gedanken, sie werden zu Worten, achte auf deine Worte, sie werden zu Handlungen, achte auf deine Gewohnheiten, sie werden zu Charaktereigenschaften, achte auf deinen Charakter, er wird dein Schicksal!›

Geblieben sind von dieser ‹Beziehung› ca. 100 Seiten klein gedruckte, teilweise hocherotische – wer weiß, vielleicht auch pornografische? – Briefe, die von Seiten meines Partners durchaus literarische Qualität haben.

Dass bislang niemand etwas von dieser Korrespondenz weiß und kennt, ist wahrscheinlich der wahre Beweggrund, warum ich damit an sie herantrete.»