Mein anderes Leben
Welchen Namen hätten mir meine Eltern gegeben, wenn ich im anderen Geschlecht zur Welt gekommen wäre?
Mit der Frage «Welchen Namen hätten mir meine Eltern gegeben, wenn ich als Junge/Mädchen geboren wäre?», hat Mats Staub Besucher:innen und Mitwirkenden eines Festivals zur Teilnahme für Mein anderes Leben eingeladen. Alle durften zu Wort kommen, aber bloss zu einem–ihrem anderen Namen. Jede:r wurde gebeten, vor der Kamera diesen Namen auszusprechen und sich danach wortlos vorzustellen, wie das eigene Leben nun wohl aussehen würde, als Franziska statt als Matthias, als Giovanni statt als Giovanna, als Heza statt als Abdullah.
Viele Teilnehmende mussten vor der Aufnahme ihre Eltern kontaktieren, um diesen Namen überhaupt zu erfahren–ein Mitwirken war aber auch möglich, wenn dieser nicht mehr in Erfahrung zu bringen war oder es gar keinen anderen gegeben hatte. Für die Aufnahme waren die Teilnehmenden allein mit Kameramann Benno Seidel in einer schwarzen Box, die an einem zentralen Ort auf dem Festivalgelände installiert war; er hat während vier Tagen jeweils gut 200 Menschen gefilmt. Alle Aufnahmen haben er und Mats Staub in alphabetischer Reihenfolge nach dem anderen Namen angeordnet und zu einem rund 40-minütigen Film verdichtet. Darin sind keine Stimmen zu hören–sobald eine Person den Namen ausspricht, wird er als Schrift neben dem Gesicht eingeblendet (oder als Fragezeichen, wenn er unbekannt war bzw. als Strich, wenn es ihn nicht gab). Als verbindende Tonspur dient eine für diese Arbeit komponierte Musik von Andrea Brunner.
Als Zuschauer:in des Films blickt man auf eine faszinierende Serie überlegender Gesichter, deren gelesenes Geschlecht nicht mit dem Namen übereinstimmt, der neben ihnen eingeblendet wird. Manche lachen, andere gucken zweifelnd, wieder andere runzeln die Stirn. Man erahnt, was für große Möglichkeiten und verpasste Gelegenheiten da gerade im Inneren imaginiert werden.
Presse
«Es ist ein leichter Film, ein fröhliches Starren auf und Studieren von Gesichtern, meist von Menschen, die man nicht kennt–aber deren Geschichte man plötzlich zu kennen glaubt. Es ist ein Film, bei dem man wegdriften darf, bei dem man damit beginnt, zu philosophieren–auch darüber, was mit einem selbst so geschehen wäre.»
Die Presse, 23.08.2017
«Heide Merk, ex-Vize-Ministerpräsidentin Niedersachsens, wäre ein Peter geworden, Sterne-Sänger Frank Spiker eine Andrea und Martine Dennewald, die Künstlerische Leiterin der Theaterformen, Marc. Sie und 206 andere Besucher, Mitarbeiter und Mitwirkende des Festivals hat Mats Staub gebeten, nachzudenken, was denn gewesen wäre, wenn: wenn sie mit dem anderen Geschlecht geboren worden wären. Die Videoaufnahmen davon, die während der ersten Festivaltage in einer verdunkelten Kammer im Foyer entstanden, hat er zu einem stillen Meisterwerk verdichtet: Mein anderes Leben. Sie haben ihren anderen Namen genannt, jenen, den sie bekommen hätten, wenn sie nun nicht als Junge beziehungsweise als Mädchen auf die Welt gekommen wären. Man sieht Menschen bei der Einkehr. Manche lachen, andere gucken zweifelnd, wieder andere sinnieren–über verpasste Gelegenheiten oder ergriffene? Wer weiß das schon? Eine Laszlo atmet tief durch, eine kleine lockige Philipp kichert kräftig. Ein Chantale ist auch dabei und sieht nicht glücklich aus. Was wäre gewesen, wenn? Das fragt man sich auch als Zuschauer des gut 45 Minuten langen Films. Die Sicht auf den anderen wird zum Blick auf das eigene Leben–dieses Grundprinzip der Bühnenkunst wird hier so leise, so eindringlich und so rührend verbildlicht, dass es tief in die Seele greift. Wundervoll.»
Neue Presse, 09.07.2015
«Das Material, mit dem Mats Staub arbeitet, ist die Erinnerung. Seine Arbeiten waren schon mehrfach bei den Theaterformen zu sehen. Aber so reduziert, so sprachlos war noch keines seiner Projekte. Die Möglichkeitskunst, die er hier zeigt, irritiert und berührt (…) Es ist dieser eine Moment, in dem jemand plötzlich ganz bei sich ist, in dem zu sehen ist, wie da jemand über sich und sein Leben nachdenkt und sich fragt, ob es auch anders hätte verlaufen können.»
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 09.07.2015
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Credits
Idee, Konzept, Leitung: Mats Staub
Kamera: Benno Seidel
Musik: Andrea Brunner
Grafik: Krispin Heé
Produktionsleitung: Klaas Werner, Elisabeth Schack
Produktion: zwischen_produktionen
Koproduktion: Festival Belluard Bollwerk International, Festival Theaterformen, Short Theatre Festival Rom, European Forum Alpbach, Conde Duque Madrid