Ried im Innkreis, 24. May 1962

«Habe bereits auf 64 ½ kg abgemagert, aber nur dort, wo Du und ich es nicht will. Aber wenn ich wieder Appetit habe, hole ich es wieder ein. Höre gerade ‹Vergnügt um 11 Uhr›. Leider werden sehr viel langsame Platten gespielt, und da bin ich traurig, dass ich allein bin. Deine Pfingstrosen stehen vor mir am Tisch und ich schaue jede freie Minute auf sie.»

Bergen [Postkarte], 25. May 1962

«Wir haben hier sehr reichliches und einmalig gutes Essen. Hier würdest Du dich wohlfühlen. In der Straße auf dem Bild wohne ich.»

Ried im Innkreis, 27. May 1962

«Heute haben wir gefüllte Kalbsbrust gehabt und wir haben alle dabei an Dich gedacht, da Du sie ja so gerne hast. Bitte sei mir nicht böse, wenn ich so klein schreibe und ohne Absatz, aber ich möchte Platz sparen. Mutti kommt jetzt schon das 3. Mal schnüffeln und hat die Vase mit den Pfingstrosen zum Einwässern mitgenommen. Als sie es wieder herstellte, waren keine Rosen drinnen. Sie sind eben alle abgefallen, und jetzt habe ich gar keine mehr.»

Bergen, 28. May 1962

«Die Mahlzeiten nehmen wir in einem Restaurant in der Messehalle ein, es ist sehr nobel. Beim Abendessen spielt immer eine 5-Mann-Kapelle Musik. Es sind 4 Italiener und 1 Neger. Sie spielen Klavier, Elektro-Gitarre, Schlagzeug und Saxophon. Sie spielen sehr schön und modern (Twist).»

Ried im Innkreis, 28. May 1962

«Habe Dir jetzt schon Briefe normal und mit Luftpost geschickt. Ist ein großer Unterschied mit dem Ankommen? Bitte kannst Du mir das schreiben, damit ich mich danach richten kann. Am Mittwoch werde ich mir Erika bestellen, denn meine Frisur ist schon furchtbar, von dem vielen Liegen. Mutti und Papa wollen unbedingt, dass ich mir die Haare schneiden lasse, und Dauerwellen bekomme. Sie wollen sie sogar zahlen. Aber ich tu es nur, wenn Du es willst. Aber Du willst es ja eh nicht.»

Bergen, 30. May 1962

«Liebes Schnucki, vielen Dank, dass Du mir etwas schicken willst, aber das, was ich will, kannst Du mir nicht schicken, nämlich ‹Dich›. Sonst habe ich alles und es geht mir nichts ab als Du. Mit dem Geld komme ich sehr gut aus, es bleiben mir pro Tag 50 Schilling so zum Anbringen, ohne Essen und Schlafen gerechnet. Bei der Kalbsbrust wäre ich sehr gerne dabeigewesen. Bitte schreibe nicht mehr Luftpost. Die Briefe gehen alle automatisch mit Flugzeug.»

Ried am Innkreis, 30. June 1962

«Schreibe Dir schnell einen Expressbrief, damit Du informiert bist. Ab Montag ist ein totaler Poststreik. Man kann nicht telefonieren, telegraphieren, es wird keine Post zugestellt und die Postämter haben geschlossen. Man weiß noch nicht, wie lange dieser Zustand dauern wird, also verbinden uns nicht einmal unsere Briefe und jetzt weiß ich nicht, wann Du kommst.»

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Katharina Paulischin und Johannes Hoffmann

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