Innsbruck, 21. December 1995

«Deinen Brief hab’ ich gebügelt, das geht erstaunlich gut, bis auf das Eselsohr, das ich hineingebügelt habe. Aber sonst wäre es ja unglaubwürdig gewesen: So glatte Briefe gibt es nämlich in der freien Natur nicht. Gestern hab’ ich versucht, Dich zu erreichen, bin aber über ein einseitiges Gespräch mit einem Mann nicht hinausgekommen. Ausser СЛУШАЮ habe ich nichts verstanden, wie auch. Da ist mir Deine Telephonhemmung eingefallen. Vielleicht sollten wir Termine ausmachen, zumindest bis ich Russisch kann (also so die nächsten sieben Jahre).»

Innsbruck, 31. December 1995

«Von Dir fühl ich mich abgeschnitten und zum ersten Mal weit weg. Ich habe ja nicht viel mehr als eine Ahnung, was Du eigentlich wirklich willst und denkst, was Dich beschäftigt und quält und ob ich inzwischen auf die Seite der Lasten in Deinem Leben gerutscht bin. Nachdem Du Dich für ‹Deine zweite Geschichte› entschieden hast, wenn auch nur vorläufig und im Wissen, dass etwas nicht stimmt, können meine Anrufe ja eigentlich nur eine Plage sein, oder?»

Innsbruck, 09. January 1996

«Tatjana, einen Brief an Dich aufzuhören ist nicht viel leichter, als den Hörer aufzulegen, besonders wenn man weiss, dass die Post nicht wirklich funktioniert und keiner ahnt, wann der nächste reitende Bote nach Russland aufbricht. Ich wüsste gerne, wie es Dir wirklich geht, unter der Schicht Deiner Selbstdiziplin, die nur hin und wieder eine Krankheit erlaubt, der Welt zu sagen, dass es nicht sehr gut ist. Das Telephon ist leider kein vollwertiger Ersatz für Dich, wenn auch besser als gar nichts.
Für den Frühling habe ich mit Matthias (der bei meinem Fest war und russisch spricht) einen Ausflug nach Moskau geplant – Sondierungen. Aber bei der Geschwindigkeit der Entscheidungen ist es vielleicht nicht sinnvoll, so weit vorauszudenken. Oder gerade deshalb? Frag’ mich was leichteres.»

Innsbruck [Postkarte], 05. February 1996

«Ich komme trotzdem (sagte meine damals 3 Jahre alte Schwester, als sie hörte, dass im Kindergarten kein Platz für sie war): 23. Februar – 1. März»

im Zug von Innsbruck nach Wien, 16. May 1996

«Noch ist mir nichts eingefallen, um aus der Zwangslage zu kommen, in die wir uns manöveriert haben. Ich habe verstanden, dass es für mich nur eine Möglichkeit gibt. Darüber hinaus habe ich nichts verstanden. Oder, besser gesagt, was ich verstanden habe, ist wieder einmal nicht das, was Du gesagt hast. Aber damit will ich Dich nicht quälen, das ist Dir schon oft genug auf die Nerven gegangen. Womit ich Dich schon ‹quälen› möchte, ist meine Sicht der Dinge, von der ich mit Dir noch nie geredet habe, weil Du solche Gespräche immer abgewehrt hast.»

Read by:

Matthias Kofler

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22'03''