St. Pölten, 14. May 1962

«Das Stehen in finsteren Gassen zwischen schäbigen, traurigen Bauhütten, das Kino, die freiwilligen Überstunden. Mäuschen, es ist traurig, aber nicht nur das, ich finde es sogar entwürdigend. Das soll aber jetzt wieder nicht heißen, dass ich es nicht gerne getan hätt, nein, nein, nein, ich lieb Dich doch, aber nachher, das Nachher ist entsetzlich, so ernüchternd und bar jeder Romantik. Da wird mir dann erst richtig klar, wie trostlos alles ist. Ich möchte so gerne einmal einen ganzen Tag nur mit dir verbringen, ohne daran denken zu müssen, ob uns auch wohl niemand sieht, oder ob es sich mit der Zeit nicht mehr ausgeht.»

St. Pölten, 24. May 1962

«Bitte, bitte hab mich noch lieb! Vergiss den hässlichen Zwischenfall heute Nachmittag. Ich hatte immer Angst davor, aber glaube mir, mir persönlich hat es so ganz und gar nichts ausgemacht. Ich war selbst überrascht über meine Ruhe und Gleichgültigkeit ihm gegenüber. Glaube mir, jetzt bin ich endgültig fertig mit ihm. Bis jetzt spielte irgendwie noch das Mitleid eine gewisse Rolle, aber jetzt ist es ganz aus. Ich hätte ihm heute, wenn er morgen nicht Prüfung hätte, mit Genugtuung gesagt, dass ich mich für Dich entschieden habe.»

St. Pölten [maschinengeschrieben], 20. June 1963

«Folgendes wollte ich Dir mit Verlaub sagen: Du musst Dich wohl einmal entscheiden, welche Rolle Du spielen willst. Ich meine jetzt die soziale Stellung. Ob Du so ein durchschnittliches Tingel-Tangel-Mädchen werden (doch nicht gar: bleiben) willst. Oder ob Du eben eine Dame werden willst, die durch ihren Charme, ihre Erscheinung, ihre Art aufzutreten und vor allem auch durch ihre Bildung wirkt. Ich glaube, dass Du noch beide Möglichkeiten vor Dir hast, dass Du noch entscheiden kannst, welchen Weg Du gehen willst. Ich persönlich – wenn ich jetzt wieder von mir sprechen darf – hoffe doch noch später eine gewisse Stellung und eine gewisse soziale Position zu erreichen.»

St. Pölten, 04. October 1963

«Ich glaube nicht mehr an Gott! Es gibt ihn doch gar nicht, es kann ihn nicht geben. Er könnte das alles nicht zulassen! Ich weiß, meine Probleme mögen in anderen Augen ganz gering und lächerlich erscheinen, doch mir ist es als ob Du gestorben wärest. Du weißt, ich habe von Dir nicht verlangt und es auch nie erwartet, dass Du mich heiratest, aber dass Du mich jetzt so im Stich lässt, hätte ich von Dir nicht erwartet. Ich kam mir am Montag vor wie eine Kuh am Jahrmarkt. ‹Wer bietet mehr?› Entweder Du hast mich die ganze Zeit über belogen oder Du hast Dich auch von ihm weich kriegen lassen. Ja, jetzt winselt er, jetzt ist er freundlich, bittet mich zu bleiben und führt als Hauptargument die Kinder an.»

Götzendorf, 12. May 1965

«Ich möchte gleich auch etwas ein für alle Mal feststellen: und zwar, dass wir gleichberechtigt sind! Ich meine damit (und hiemit schneide ich ein überaus heikles Thema an), dass ich Dir vielleicht einmal einen Vorwurf machen werde, dass Du froh sein musst, dass ich Dich genommen habe, wo Du doch geschieden bist und zwei Kinder hast. Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche, also z.B. Du wirfst mir vor, aus sehr kleinbürgerlichen, ärmlichen Verhältnissen zu stammen und nichts zu besitzen. Ich hoffe daher, dass es auch später hier zu keinen Streitereien kommen wird und dass Du nicht wegen der Toleranz in sehr positivem Sinne, mich für blöd oder für einen Waschlappen hältst, sondern für das was es ist: ein Zeugnis meiner Liebe (wenn dies jetzt auch vielleicht kitschig oder theatralisch geklungen haben mag, so habe ich es dennoch gesagt!). Wir sind gleichberechtigt und ich liebe Dich nicht aus Mitleid!»

Verona, 21. June 1965

«Wie ich heute Nachmittag Deinen Brief gesehen habe, habe ich mich im ersten Moment sehr gefreut, doch als ich ihn dann gelesen habe, war mir, als ob Du mich geschlagen hättest. Zuerst wollte ich beleidigt und böse sein, aber ich kann es nicht. Ich bin nur unendlich traurig. Warum bist Du so hart gegen mich und so furchtbar zynisch. Ich weiß, dass es meine Schuld ist, dass Du den einen Brief verspätet bekommen hast, aber ich habe Dir auch schon 4 Briefe geschrieben und das ist der Fünfte.»

Götzendorf [Expressbrief], 24. June 1965

«Gelt, Du bist mir nicht mehr böse und hast mich wieder ganz, ganz lieb?!! Ich konnte doch wirklich nichts dafür und ich habe das Ganze doch nur geschrieben, weil ich Dich so lieb habe. Sonst wäre es mir doch sicher ganz gleichgültig gewesen, wann und ob du mir schreibst! Das siehst du doch ein?!»

St. Pölten, 10. November 1965

«Ich weiß nicht, wieso ich immer so gereizt bin, aber Du bist manches Mal wirklich sehr aufreizend in Deiner Art. Es mag schon stimmen, dass ich vieles überbewerte, aber ich finde, dass Du sehr oft gehemmt bist. Du merkst es vielleicht nicht, aber mir fällt es sehr oft auf. Du magst es vielleicht als lächerlich hinstellen, aber ich hätte vor anderen Menschen ganz gerne einen forschen und selbstbewussten Mann und zu Hause dafür einen recht gefühlvollen.»

Read by:

Patrizia Gruber und Peter Klien

Total playtime:

26'55''

Kommentar von Ewald (2005): «1960 lernte ich meine Frau in unserem damaligen Büro kennen. 1962 waren wir ein Liebespaar (sie war damals noch in erster Ehe verheiratet). 1964 wurde sie geschieden. 1966 haben wir geheiratet (auch kirchlich). Wir sind immer noch verheiratet und im nächsten Jahr feiern wir unseren 40-jährigen Hochzeitstag.»